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Johann Wolfgang von Goethe
Das Maerchen
("Das Maerchen" ist die letzte Erzaehlung aus Goethe's Novellenzyklus "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter" von 1795, zuerst erscheinen in der von Schiller hrsg. Zeitschrift "Die Horen")
An dem grossen Flusse, der eben von einem starken Regen geschwollen und uebergetreten war, lag in seiner kleinen Huette, muede von den Anstrengungen des Tages, der alte Faehrmann und schlief. Mitten in der Nacht weckten ihn einige laute Stimmen; er hoerte, dass Reisende uebergesetzt sein wollten.
Als er vor die Tuer hinaus trat, sah er zwei grosse Irrlichter ueber dem angebundenen Kahne schweben, die ihm versicherten, dass sie grosse Eile haetten und schon an jenem Ufer zu sein wuenschten. Der Alte saeumte nicht, stiess ab und fuhr, mit seiner gewoehnlichen Geschicklichkeit, quer ueber den Strom, indes die Fremden in einer unbekannten, sehr behenden Sprache gegeneinander zischten und mitunter in ein lautes Gelaechter ausbrachen, indem sie bald auf den Raendern und Baenken, bald auf dem Boden des Kahns hin- und widerhuepften.
Der Kahn schwankt! rief der Alte; und wenn ihr so unruhig seid, kann er umschlagen; setzt euch, ihr Lichter!
Sie brachen ueber diese Zumutung in ein grosses Gelaechter aus, verspotteten den alten und waren noch unruhiger als vorher. Er trug ihre Unarten mit Geduld, und stiess bald am jenseitigen Ufer an.
Hier ist fuer Eure Muehe! riefen die Reisenden, und es fielen, indem sie sich schuettelten, viele glaenzende Goldstuecke in den feuchten Kahn. Ums Himmels willen, was macht ihr? rief der Alte. Ihr bringt mich ins groesste Unglueck! Waere ein Goldstueck ins Wasser gefallen, so wuerde der Strom, der dies Metall nicht leiden kann, sich in entsetzliche Wellen erhoben, das Schiff und mich verschlungen haben, und wer weiss, wie es euch gegangen sein wuerde! Nehmt euer Geld wieder zu euch!
Wir koennen nichts wieder zu uns nehmen, was wir abgeschuettelt haben, versetzten jene.
So macht ihr mir noch die Muehe, sagte der Alte, indem er sich bueckte und die Goldstuecke in seine Muetze las, dass ich sie zusammensuchen, ans Land tragen und vergraben muss.
Die Irrlichter waren aus dem Kahne gesprungen, und der Alte rief: Wo bleibt nun mein Lohn?
Wer kein Gold nimmt, mag umsonst arbeiten! riefen die Irrlichter. - Ihr muesst wissen, dass man sich nur mit den Fruechten der Erde bezahlen kann. - Mit Fruechten der Erde? Wir verschmaehen sie, und haben sie nie genossen. - Und doch kann ich euch nicht loslassen, bis ihr mir versprecht, dass ihr mir drei Kohlhaeupter, drei Artischocken und drei grosse Zwiebeln liefert.
Die Irrlichter wollten scherzend davonschluepfen, allein sie fuehlten sich auf eine unbegreifliche Weise an den Boden gefesselt; es war die unangenehmste Empfindung die sie jemals gehabt hatten. Sie versprachen seine Forderung naechstens zu befriedigen; er entliess sie und stiess ab. Er war schon weit hinweg als sie ihm nachriefen: Alter! hoert Alter! wir haben das Wichtigste vergessen! Er war fort und hoerte sie nicht. Er hatte sich an derselben Seite den Fluss hinab treiben lassen, wo er in einer gebirgigen Gegend, die das Wasser niemals erreichen konnte, das gefaehrliche Gold verscharren wollte. Dort fand er zwischen hohen Felsen eine ungeheure Kluft, schuettete es hinein und fuhr nach seiner Huette zurueck.
In dieser Kluft befand sich die schoene gruene Schlange, die durch die herabklingende Muenze aus ihrem Schlaf geweckt wurde. Sie ersah die kaum die leuchtenden Scheiben, als sie solche auf der Stelle mit grosser Begierde verschlang, und alle Stuecke, die sich in dem Gebuesch uns zwischen den Felsritzen zerstreut hatten, sorgfaeltig aufsuchte.
Kaum waren sie verschlungen, so fuehlte sie mit der angenehmsten Empfindung das Gold in ihren Eingeweiden schmelzen und sich durch ihren ganzen Koerper ausbreiten, und zur groessten Freude bemerkte sie, dass sie durchsichtig und leuchtend geworden war. Lange hatte man ihr schon versichert, dass diese Erscheinung moeglich sei; weil sie aber zweifelhaft war, ob dieses Licht lange dauern koenne, so trieb sie die Neugierde und der Wunsch, sich fuer die Zukunft sicherzustellen, aus dem Felsen heraus, um zu untersuchen, wer das schoene Geld hereingestreut haben koennte. Sie fand niemanden. Desto angenehmer war es ihr, sich selbst, da sie zwischen Kraeutern und Gestraeuchen hinkroch, und ihr anmutiges Licht, das sie durch das frische Gruen verbreitete, zu bewundern. Alle Blaetter schienen von Smaragd, alle Blumen auf das herrlichste verklaert. Vergebens durchstrich sie die einsame Wildnis; desto mehr aber wuchs ihre Hoffnung, als sie auf die Flaeche kam und von weitem einen Glanz, der dem ihrigen aehnlich war, erblickte. Find' ich doch endlich meinesgleichen! rief sie aus und eilte nach der Gegend zu. Sie achtete nicht die Beschwerlichkeit durch Sumpf und Rohr zu kriechen; denn ob sie gleich auf trockenen Bergwiesen, in hohen Felsritzen am liebsten lebte, gewuerzhafte Kraeuter gerne genoss und mit zartem Tau und frischem Quellwasser ihren Durst gewoehnlich stillte, so haette sie doch des lieben Goldes willen und in Hoffnung des herrlichen Lichtes alles unternommen, was man ihr auferlegte.
Sehr ermuedet gelangte sie endlich zu einem feuchten Ried, wo unsere beiden Irrlichter hin- und widerspiegelten. Sie schoss auf sie los, begruesste sie, und freute sich so angenehme Herren von ihrer Verwandtschaft zu finden. Die Lichter strichen an ihr her, huepften ueber sie weg und lachten nach ihrer Weise. Frau Muhme, sagten sie, wenn Sie schon von der horizontalen Linie sind, so hat das doch nichts zu bedeuten; freilich sind wir nur von seiten des Scheins verwandt, denn sehen sie nur (hier machten beide Flammen indem sie ihre ganze Breite aufopferten, sich so lang und spitz als moeglich) wie schoen uns Herren von der vertikalen Linie diese schlanke Laenge kleidet; nehmen Sie's uns nicht uebel, meine Freundin, welche Familie kann sich des ruehmen? So lang es Irrlichter gibt, hat noch keines weder gesessen noch gelegen.
Die Schlange fuehlte sich in der Gegenwart dieser Verwandten sehr unbehaglich, denn sie mochte den Kopf so hoch heben als sie wollte, so fuehlte die doch, dass sie ihn wieder zur Erde biegen musste, um von der Stelle zu kommen, und hatte sie sich vorher im dunklen Hain ausserordentlich wohlgefallen, so schien ihr Glanz in Gegenwart dieser Vettern sich jeden Augenblick zu vermindern, ja sie fuerchtete, dass er endlich gar verloeschen werde. In dieser Verlegenheit fragte sie eilig, ob die Herren ihr nicht etwa Nachricht geben koennten, wo das glaenzende Gold herkomme, das vor kurzem in die Felskluft gefallen sei; sie vermute, es sei ein Goldregen, der unmittelbar vom Himmel traeufle. Die Irrlichter lachten und schuettelten sich, und es sprangen eine grosse Menge Goldstuecke um sie herum. Die Schlange fuhr schnell danach sie zu verschlingen. Lasst es Euch schmecken, Frau Muhme, sagten die artigen Herren, wir koennen noch mit mehr aufwarten. Sie schuettelten sich noch einige Male mit grosser Behendigkeit, so dass die Schlange kaum die kostbare Speise schnell genug hinunterbringen konnte. Sichtlich fing ihr Schein an zu wachsen, und sie leuchtete wirklich auf's herrlichste, indes die Irrlichter ziemlich mager und klein geworden waren, ohne jedoch von ihrer guten Laune das mindeste zu verlieren.
Ich bin euch auf ewig verbunden, sagte die Schlange, nachdem sie von ihrer Mahlzeit wieder zu Atem gekommen war, fordert von mir was ihr wollt; was in meinen Kraeften ist, will ich euch leisten.
Recht schoen! riefen die Irrlichter, sage, wo wohnt die schoene Lilie? Fuehr uns so schnell als moeglich zum Palaste und Garten der schoenen Lilie, wir sterben vor Ungeduld, uns ihr zu Fuessen zu werfen.
Diesen Dienst, versetzte die Schlange mit einem tiefen Seufzer, kann ich euch sogleich nicht leisten. Die schoene Lilie wohnt leider jenseits des Wassers. - Jenseits des Wassers! Und wir lassen uns in dieser stuermischen Nacht uebersetzen! Wie grausam ist der Fluss, der uns nun scheidet! Sollte es nicht moeglich sein, des Alten wieder zu errufen?
Sie wuerden sich vergebens bemuehen, versetzte die Schlange, denn wenn Sie ihn ach selbst an dem diesseitigen Ufer antraefen, so wuerde er Sie nicht einnehmen; er darf jedermann herueber, niemand hinueber bringen. - Da haben wir uns schoen gebettet! Gibt es denn kein anderes Mittel, ueber das Wasser zu kommen? - Noch einige, nur nicht in diesem Augenblick. Ich selbst kann die Herren uebersetzen, aber erst in der Mittagsstunde. - Das ist eine Zeit, in der wir nicht gerne reisen. - So koennen Sie abends auf dem Schatten des Riesen hinueberfahren. - Wie geht das zu? - Der grosse Riese, der nicht weit von hier wohnt, vermag mit seinem Koerper nichts; seine Haende heben keinen Strohhalm, seine Schultern wuerden kein Reisblatt tragen; aber sein Schatten vermag viel, ja alles. Deswegen ist er beim Aufgang und Untergang der Sonne am maechtigsten, und so darf man sich abends nur auf den Nacken seines Schattens setzen, der Riese geht alsdann sachte gegen das Ufer zu und der Schatten bringt den Wanderer ueber das Wasser hinueber. Wollen Sie aber um Mittagszeit sich an jener Waldecke einfinden, wo das Gebuesch dicht ans Ufer stoesst, so kann ich Sie uebersetzen und der schoenen Lilie vorstellen; scheuen Sie hingegen die Mittagshitze, so duerfen Sie nur gegen Abend in jener Felsenbucht den Riesen aufsuchen, der sich gewiss recht gefaellig zeigen wird.
Mit einer leichten Verbeugung entfernten sich die jungen Herren, und die Schlange war zufrieden von ihnen loszukommen, teils um sich in ihrem eignen Lichte zu erfreuen, teils eine Neugierde zu befriedigen, von der die schon lange auf eine sonderbare Weise gequaelt wird.
In den Felsklueften, in denen sie oft hin- und widerkroch, hatte sie an einem Orte eine seltsame Entdeckung gemacht. Denn ob sie gleich durch diese Abgruende ohne ein Licht zu kriechen genoetigt war, so konnte sie doch durch Gefuehl die Gegenstaende recht wohl unterscheiden. Nur unregelmaessige Naturprodukte war sie gewohnt ueberall zu finden; bald schlang sie sich zwischen den Zacken grosser Kristalle hindurch, bald fuehlte sie die Haken und Haare des gediegenen Silbers, und brachte ein und den anderen Edelstein mit ans Licht hervor. Doch hatte sie zu ihrer grossen Verwunderung in einem ringsum verschlossenen Felsen Gegenstaende gefuehlt, welche die bildende Hand des Menschen verrieten. Glatte Waende, an denen sie nicht aufsteigen konnte, scharfe regelmaessige Kanten, wohlgebildete Saeulen und, was ihr am sonderbarsten vorkam, menschliche Figuren, um die sie sich mehrmals geschlungen hatte, und die fuer Erz oder aeusserst polierten Marmor halten musste. Alle diese Erfahrungen wuenschte sie noch zuletzt durch den Sinn des Auges zusammenzufassen und das, was sie nur mutmasste, zu bestaetigen. Sie glaubte sich nun faehig durch ihr eigenes Licht dieses wunderbare unterirdische Gewoelbe zu erleuchten und hoffe auf einmal mit diesen sonderbaren Gegenstaenden voellig bekannt zu werden. Sie eilte und fand auf dem gewohnten Weg bald die Ritze, durch sie in das Heiligtum zu schleichen pflegte.
Als sie sich am Orte befand, sah sie sich mit Neugier um, und obgleich ihr Schein alle Gegenstaende der Rotonde nicht erleuchten konnte, so wurden ihr doch die naechsten deutlich genug. Mit Erstaunen und Ehrfurcht sah sie in eine glaenzende Nische hinauf, in welcher das Bildnis eines ehrwuerdigen Koenigs in lauterem Golde aufgestellt war. Dem Mass nach war die Bildsaeule ueber Menschengroesse, der Gestalt nach aber das Bildnis eher eines kleinen als eines grossen Mannes. Sein wohlgebildeter Koerper war mit einem einfachen Mantel umgeben, und ein Eichenkranz hielt seine Haare zusammen.
Kaum hatte die Schlange dieses ehrwuerdige Bildnis angeblickt, als der Koenig zu reden anfing und fragte: Wo kommst du her? - Aus den Klueften, versetzte die Schlange, in denen das Gold wohnt. - Was ist herrlicher als Gold? fragte der Koenig. - Das Licht, antwortete die Schlange. - Was ist erquicklicher als Licht? fragte jener. - Das Gespraech, antwortete diese.
Sie hatte unter diesen Reden beiseite geschielt und in der naechsten Nische ein anderes herrliches Bild gesehen. In derselben sass ein silberner Koenig, von langer und eher schmaechtiger Gestalt; sein Koerper war mit einem verzierten Gewande ueberdeckt, Krone, Guertel und Zepter mit Edelsteinen geschmueckt; er hatte die Heiterkeit des Stolzes in seinem Angesichte und schien eben reden zu wollen, als an der normalen Wand eine Ader, die dunkelfarbig hindurchlief, auf einmal hell ward und ein angenehmes Licht durch den ganzen Tempel verbreitete. Bei diesem Licht sah die Schlange den dritten Koenig, der von Erz in maechtiger Gestalt dasass, sich auf seine Keule lehnte, mit einem Lorbeerkranz geschmueckt war, und eher einem Felsen als einem Menschen glich. Sie wollte sich nach dem vierten umsehen, der in der groessten Entfernung vor ihr stand, aber die Mauer oeffnete sich, indem die erleuchtete Ader wie ein Blitz zuckte und verschwand.
Ein Mann von mittlere Groesse, der heraustrat, zog die Aufmerksamkeit der Schlange auf sich. Er war als ein Bauer gekleidet und trug eine kleine Lampe in der Hand, in deren stille Flamme man gerne hineinsah, und die auf eine wundersame Weise, ohne auch nur einen Schatten zu werfen, den ganzen Dom erhellte.
Warum kommst du, da wir Licht haben? fragte der goldene Koenig. - Ihr wisst, dass ich das Dunkle nicht erleuchten darf. - Endigt sich mein Reich? fragte der silberne Koenig. - Spaet oder nie, versetzte der Alte.
Mit einer starken Stimme fing der eheren Koenig an zu fragen: Wann werde ich aufstehn? - Bald, versetzte der Alte. - Mit wem soll ich mich verbinden? fragte der Koenig. - Mit deinen aelteren Bruedern, sagte der Alte. - Was wird aus dem juengsten werden? fragte der Koenig. - Er wird sich setzen, sagte der Alte.
Ich bin nicht muede, rief der vierte Koenig mit einer rauhen stotternden Stimme.
Die Schlange war, indessen jene redeten, in dem Tempel leise herumgeschlichen, hatte alles betrachtet und besah nunmehr den vierten Koenig in der Naehe. Er stand an eine Saeule gelehnt, und seine ansehnliche Gestalt war eher schwerfaellig als schoen. Allein das Metall, woraus er gegossen war, konnte man nicht leicht unterscheiden. Genau genommen war eine Mischung der drei Metalle, aus denen seine Brueder gebildet waren. Aber beim Gusse schienen diese Materien nicht recht zusammengeschmolzen zu sein; goldne und silberne Adern liefen unregelmaessig durch eine eherne Masse hindurch, und gaben dem ganzen ein unangenehmes Ansehn.
Indessen sagte der goldne Koenig zum Manne: Wie viel Geheimnis weisst du? - Drei, versetzte der Alte. - Welches ist das wichtigste? fragte der silberne Koenig. - Das offenbare, versetzte der Alte. - Willst du es auch uns eroeffnen? fragte der eherne. - Sobald ich das vierte weiss, sagte der Alte. - Was kuemmerts's mich! murmelte der zusammengesetzte Koenig vor sich hin.
Ich weiss das vierte, sagte die Schlange, naeherte sich dem Alten und zischte ihm etwas ins Ohr. - Es ist an der Zeit! rief der Alte mit gewaltiger Stimme. Der Tempel schallte wider, die metallenen Bildsaeulen klangen, und in dem Augenblicke versank der Alte nach Westen und die Schlange nach Osten, und jedes durchstrich mit grosser Schnelle die Kluefte der Felsen.
Alle Gaenge, durch die der Alte hindurch wandelte, fuellten sich hinter ihm sogleich mit Gold, denn seine Lampe hatte die wunderbare Eigenschaft, alle Steine in Gold, alles Holz in Silber, tote Tiere in Edelsteine zu verwandeln, und alle Metalle zu vernichten; diese Wirkung zu aeussern musste sie aber ganz allein leuchten. Wenn ein ander Licht neben ihr war, wirkte sie nur einen schoenen Schein, und alles Lebendigkeit ward immer durch sie erquickt.
Der Alte trat in seine Huette, die an dem Berge angebauet war, und fand sein Weib in der groessten Betruebnis. Sie sass am Feuer und weinte und konnte sich nicht zufrieden geben. Wie ungluecklich bin ich, rief sie aus, wollt' ich dich heute doch nicht fortlassen! - Was gibt es denn? fragte der Alte ganz ruhig.
Kaum bist du weg, sagte sie mit Schluchzen, so kommen zwei ungestueme Wanderer vor die Tuere; unvorsichtig lasse ich sie herein, es schienen ein paar artige rechtliche Leute; sie waren in leichte Flammen gekleidet, man haette sie fuer Irrlichter halten koennen: kaum sind sie im Hause, so fangen sie an, auf eine unverschaemte Weise, mit Worten zu schmeicheln, und werden so zudringlich, dass ich mich schaeme daran zu denken.
Nun, versetzte der Mann laechelnd, die Herren haben wohl gescherzt; denn deinem Alter nach sollten sie es wohl bei der allgemeinen Hoeflichkeit gelassen haben.
Was Alter! rief die Frau; soll ich immer von meinem Alter hoeren? Wie alt bin ich denn? Gemeine Hoeflichkeit! Ich weiss doch was ich weiss. Und sieh dich nur um, wie die Waende aussehen; sieh nur die alten Steine, die ich seit hundert Jahren nicht mehr gesehen habe; alles Gold haben sie heruntergeleckt, du glaubst nicht mit welcher Behendigkeit, und sie versicherten immer, es schmecke viel besser als gemeines Gold. Als die Waende rein gefegt hatten, schienen sie sehr guten Mutes, und gewiss, sie waren auch in kurzer Zeit sehr viel groesser, breiter und glaenzender geworden. Nun fingen sie ihren Mutwillen von neuem an, streichelten mich wieder, hiessen mich ihre Koenigin, schuettelten sich und eine Menge Goldstuecke sprangen herum; du siehst noch, wie sie dort unter der Bank leuchten; aber welch ein Unglueck! Unser Mops frass einige davon und sieh, da liegt er am Kamine tot; das arme Tier! Ich kann mich nicht zufrieden geben. Ich sah es erst, da sie fort waren, denn sonst haette ich nicht versprochen, ihre Schuld beim Faehrmann abzutragen. - Was sind sie schuldig? fragte der Alte. - Drei Kohlhaeupter, sagte die Frau, drei Artischocken und drei Zwiebeln: wenn es Tag wird, habe ich versprochen, sie an den Fluss zu tragen.
Du kannst ihnen den Gefallen tun, sagte der Alte; denn sie werden uns gelegentlich auch wieder dienen.
Ob sie uns dienen werden, weiss ich nicht, aber versprochen und beteuert haben sie es.
Indessen war das Feuer im Kamine zusammengebrannt, der Alte ueberzog die Kohlen mit vieler Asche, schaffte die leuchtenden Goldstuecke beiseite, und nun leuchtete sein Laempchen wieder allein, in dem schoenen Glanze, die Mauern ueberzogen sich mit Gold und der Mops war zu dem schoensten Onyx geworden, den man sich denken konnte. Die Abwechslung der braunen und schwarzen Farbe des kostbaren Gesteins machte ihn zum seltensten Kunstwerke.
Nimm deinen Korb, sagte der Alte, und stelle den Onyx hinein; alsdann nimm die drei Kohlhaeupter, die drei Artischocken und die drei Zwiebeln, lege sie umher und trage sie zum Flusse. Gegen Mittag lass dich von der Schlange uebersetzen und besuche die schoene Lilie, bring ihr den Onyx, sie wird ihn durch ihre Beruehrung lebendig machen, wie sie alles Lebendige durch ihre Beruehrung toetet; sie wird einen treuen Gefaehrten an ihm haben. Sage ihr, sie solle nicht trauern, ihre Erloesung sei nahe, das groesste Unglueck koenne sie als das groesste Glueck betrachten, denn es sei an der Zeit.
Die Alte packte ihren Korb und machte sich, als es Tag war, auf den Weg. Die aufgehende Sonne schien hell ueber den Fluss herueber, der in der Ferne glaenzte; das Weib ging mit langsamem Schritt, denn der Korb drueckte sie aufs Haupt, und es war doch nicht der Onyx, der so lastete. Alles Tote was sie trug fuehlte sie nicht, vielmehr hob sich alsdann der Korb in die Hoehe und schwebte ueber ihrem Haupte. Aber ein frisches Gemues oder ein kleines lebendiges Tier zu tragen, war ihr aeusserst beschwerlich. Verdriesslich war sie eine Zeitlang hingegangen, als sie auf einmal, erschreckt, stille stand; denn sie haette beinahe auf den Schatten des Riesen getreten, der sich ueber die Ebene bis zu ihr hin erstreckte. Und nun sah sie erst den gewaltigen Riesen, der sich im Fluss gebadet hatte, aus dem Wasser heraussteigen, und sie wusste nicht, wie sie ihm ausweichen sollte. Sobald er sie gewahr war, fing er an sie scherzhaft zu begruessen, und die Haende seines Schattens griffen sogleich in den Korb. Mit Leichtigkeit und Geschicklichkeit nahmen sie ein Kohlhaupt, eine Artischocke und eine Zwiebel heraus und brachten sie dem Riesen zum Munde, der sodann weiter den Fluss hinauf ging und dem Weibe den Weg frei liess.
Sie bedachte, ob sie nicht lieber zurueckgehen und die fehlenden Stuecke aus ihrem Garten wieder ersetzen sollte, und ging unter diesen Zweifeln immer weiter vorwaerts, so dass sie bald an dem Ufer des Flusses ankam. Lange sass sie in Erwartung des Faehrmanns, den sie endlich mit einem sonderbaren Reisenden herueberschiffen sah. Ein junger, edler, schoener Mann, den sie nicht genug ansehen konnte, stieg aus dem Kahne.
Was bringt ihr? rief der Alte. - Es ist das Gemuese, das Euch die Irrlichter schuldig sind, versetzte die Frau und wies ihre Ware hin. Als der Alte von jeder Sorte nur zwei fand, ward er verdriesslich und versicherte, dass er sie nicht annehmen koenne. Die Frau bat ihn instaendig, erzaehlte ihm, dass sie jetzt nicht nach Hause gehen koenne und dass ihr die Last auf dem Wege, den sie vor sich habe, beschwerlich sei. Er blieb bei seiner abschlaegigen Antwort, indem er ihr versicherte, dass es nicht einmal von ihm abhange. Was mir gebuehrt, muss ich neun Stunden zusammen lassen, und ich darf nichts annehmen, bis ich dem Fluss ein Dritteil uebergeben habe. Nach vielem Hinundwiderreden versetzte endlich der Alte: Es ist noch ein Mittel. Wenn Ihr Euch gegen den Fluss verbuergt und Euch als Schuldnerin bekennen wollt, so nehm' ich die sechs Stuecke zu mir, es ist aber einige Gefahr dabei. - Wenn ich mein Wort halte, so laufe ich doch keine Gefahr? - Nicht die geringste. Steckt Eure Hand in den Fluss, fuhr der Alte fort, und versprecht, dass Ihr in vierundzwanzig Stunden die Schuld abtragen wollt.
Die Alte tat's, aber wie erschrak sie nicht, als sie ihre Hand kohlschwarz wieder aus dem Wasser zog. Sie schalt heftig auf den Alten, versicherte, dass ihre Haende immer das Schoenste an ihr gewesen waeren, und dass sie, ungeachtet der harten Arbeit, diese edlen Gemueter weiss und zierlich zu erhalten gewusst habe. Sie besah die Hand mit grossem Verdrusse und rief verzweiflungsvoll aus: Das ist noch schlimmer! Ich sehe, sie ist gar geschwunden, sie ist viel kleiner als die andere.
Jetzt scheint es nur so, sagte der Alte; wenn ihr aber nicht Wort haltet, kann es wahr werden. Die Hand wird nach und nach schwinden und endlich ganz verschwinden, ohne dass ihr den Gebrauch derselben entbehrt. Ihr werdet alles damit verrichten koennen, nur dass sie niemand sehen wird. - Ich wollte lieber, ich koennte sie nicht brauchen und man saeh's mir's nicht an, sagte die Alte; indessen hat das nichts zu bedeuten, ich werde mein Wort halten, um diese schwarze Haut und diese Sorge bald los zu werden. Eilig nahm sie darauf den Korb, der sich von selbst ueber ihren Scheitel erhob und frei in die Hoehe schwebte, und eilte dem jungen Manne nach, der sachte und in Gedanken am Ufer hinging. Seine herrliche Gestalt und sein sonderbarer Anzug hatten sich der Alten tief eingedruckt.
Seine Brust war mit einem glaenzenden Harnisch bedeckt, durch den alle Teile seines schoenen Leibes sich durchbewegten. Um seine Schultern hing ein Purpurmantel, um sein unbedecktes Haupt wallten braune Haare in schoenen Locken; sein holdes Gesicht war den Strahlen der Sonne ausgesetzt, so wie seine schoen gebauten Fuesse. Mit nackten Sohlen ging er gelassen ueber den heissen Sand hin, und ein tiefer Schmerz schien alle aeusseren Eindruecke abzustumpfen.
Die gespraechige Alte suchte ihn zu einer Unterredung zu bringen, allein er gab ihr mit kurzen Worten wenig Bescheid, so dass sie endlich, ungeachtet seiner schoenen Augen, muede war ihn immer vergebens anzureden, von ihm Abschied nahm und sagte: Ihr geht mir zu langsam, mein Herr, ich darf den Augenblick nicht versaeumen, um ueber die gruene Schlange den Fluss zu passieren und der schoenen Lilie das vortreffliche Geschenk von meinem Manne zu ueberbringen. Mit diesen Worten schritt sie eilends fort und ebenso schnell ermannte sich der schoene Juengling und eilte ihr auf dem Fusse nach. Ihr geht zur schoenen Lilie! rief er aus, da gehen wir einen Weg. Was ist das fuer ein Geschenk, das ihr tragt?
Mein Herr, versetzte die Frau dagegen, es ist nicht billig, nachdem ihr meine Fragen so einsilbig abgelehnt habt, Euch mit solcher Lebhaftigkeit nach meinen Geheimnissen zu erkundigen. Wollt ihr aber einen Tausch eingehen und Eure Schicksale erzaehlen, so will ich Euch nicht verbergen, wie es mit mir und meinem Geschenke steht. Sie wurden bald einig; die Frau vertraute ihm ihre Verhaeltnisse, die Geschichte des Hundes, und liess ihn dabei das wundervolle Geschenk betrachten.
Er hob sogleich das natuerliche Kunstwerk aus dem Korbe und nahm den Mops, der sanft zu ruhen schien, in seine Arme. Glueckliches Tier! rief er aus, du wirst von ihren Haenden beruehrt, du wirst von ihr belebt werden, anstatt dass Lebendige vor ihr fliehen, um nicht ein trauriges Schicksal zu erfahren. Doch was sage ich traurig! ist es nicht viel betruebter und baenglicher durch ihre Gegenwart gelaehmt zu werden, als es sein wuerde von ihrer Hand zu sterben! Sieh mich an, sagte er zu der Alten; in meinen Jahren, welch eine elenden Zustand muss ich erdulden. Diesen Harnisch, den ich mit Ehren im Kriege getragen, diesen Purpur, den ich durch eine weise Regierung zu verdienen suchte, hat mir das Schicksal gelassen, jene als eine unnoetige Last, diesen als eine unbedeutende Zierde. Krone, Zepter und Schwert sind hinweg, ich bin im uebrigen so nackt und beduerftig, als jeder andere Erdensohn, denn so unselig wirken ihre schoenen blauen Augen, dass sie allen lebendigen Wesen ihre Kraft nehmen, und dass diejenigen, die ihre beruehrende Hand nicht toetet, sich in den Zustand lebendig wandelnder Schatten versetzt fuehlen.
So fuhr er fort zu klagen und befriedigte die Neugierde der Alten keineswegs, welche nicht sowohl von seinem innern als von seinem aeussern Zustande unterrichtet sein wollte. Sie erfuhr weder den Namen seines Vaters noch seines Koenigreiches. Er streichelte den harten Mops, den die Sonnenstrahlen und der warme Busen des Juenglings, als wenn er lebte, erwaermt hatten. Er fragte viel nach dem Mann mit der Lampe, nach den Wirkungen des heiligen Lichts und schien sich davon fuer seinen traurigen Zustand kuenftig viel Gutes zu versprechen.
Unter diesen Gespraechen sahen sie von ferne den majestaetischen Bogen der Bruecke, der von einem Ufer zum anderen hinueber reichte, im Glanz der Sonne auf das wunderbarste schimmern. Beide erstaunten, denn sie hatte dieses Gebaeude noch nie so herrlich gesehen. Wie! rief der Prinz; war sie nicht schoen genug, als sie vor unseren Augen wie von Jaspis und Prasem gebaut dastand? Muss man nicht fuerchten sie zu betreten, da sie aus Smaragd, Chrysopras und Chrysolith mit der anmutigsten Mannigfaltigkeit zusammengesetzt erscheint? Beide wussten nicht die Veraenderung, die mit der Schlange vorgegangen war: denn die Schlange war es, die sich jeden Mittag ueber den Fluss hinueber baeumte und in Gestalt einer kuehnen Bruecke dastand. Die Wanderer betraten sie mit Ehrfurcht und gingen schweigend hinueber.
Sie waren kaum am jenseitigen Ufer, als die Bruecke sich zu schwingen und zu bewegen anfing, in kurzem die Oberflaeche des Wassers beruehrte und die gruene Schlange in ihrer eigentuemlichen Gestalt den Wanderern auf dem Lande nachgleitete. Beide hatten kaum fuer die Erlaubnis auf ihrem Ruecken ueber den Fluss zu setzen gedankt, als sie bemerkten, dass ausser ihnen dreien noch mehrere Personen in der Gesellschaft sein muessten, die sie jedoch mit ihren Augen nicht erblicken konnten,. Sie hoerten neben sich ein Gezisch, dem die Schlange gleichfalls mit einem Gezisch antwortete; sie horchten auf und konnten endlich folgendes vernehmen: Wir werden, sagten ein paar wechselnde Stimmen, uns erst inkognito in dem Park der schoenen Lilie umsehen, und ersuchen Euch, uns mit Anbruch der Nacht, sobald wir nur irgend praesentabel sind, der vollkommenen Schoenheit vorzustellen. An dem Rande des grossen Seen werdet Ihr uns antreffen. Es bleibt dabei, antwortete die Schlange, und ein zischender Laut verlor sich in der Luft.
Unsere drei Wanderer beredeten sich nunmehr, in welcher Ordnung sie bei der Schoenen vortreten wollten, denn so viele Personen auch um sie sein konnten, so durften sie doch nur einzeln kommen und gehen, wenn sie nicht empfindliche Schmerzen erdulden sollten.
Das Weib mit dem verwandelten Hunde im Korbe nahte sich zuerst dem Garten und suchte ihre Goennerin auf, die leicht zu finden war, weil sie eben zur Harfe sang; die lieblichen Toene zeigten sich erst als Ringe auf der Oberflaeche des stillen Sees, dann wie ein leichter Hauch setzten sie Gras und Buesche in Bewegung. Auf einem eingeschlossenen gruenen Platze, in dem Schatten einer herrlichen Gruppe mannigfaltiger Baeume, sass sie und bezauberte beim ersten Anblick aufs neue die Augen, das Ohr und das Herz des Weibes, das sich ihr mit Entzuecken naeherte und bei sich selbst schwur, die Schoene sei waehrend ihrer Abwesenheit nur immer schoener geworden. Schon von weitem rief die gute Frau dem liebenswuerdigen Maedchen Gruss und Lob zu. Welch ein Glueck Euch anzusehen, welch einen Himmel verbreitet Eure Gegenwart um Euch her! Wie die Harfe so reizend in Eurem Schosse lehnt, wie Eure Arme sie so sanft umgeben, wie sie sich nach Eurer Brust zu sehnen scheint und wie sie unter der Beruehrung Eurer schlanken Finger so zaertlich klingt! Dreifach gluecklicher Juengling, der du ihren Platz einnehmen konntest!
Unter diesen Worten war sie naeher gekommen; die schoene Lilie schlug die Augen auf, liess die Haende sinken und versetzte: Betruebe mich nicht durch ein ein unzeitiges Lob, ich empfinde nur desto staerker mein Unglueck. Sieh, hier zu meinen Fuessen liegt der arme Kanarienvogel tot, der sonst meine Lieder auf das angenehmste begleitete; er war gewoehnt auf meiner Harfe zu sitzen, und sorgfaeltig abgerichtet mich nicht zu beruehren; heute, indem ich vom Schlaf erquickt, ein ruhiges Morgenlied anstimme, und mein kleiner Saenger munterer als jemals seine harmonischen Toene hoeren laesst, schiesst ein Habicht ueber meinem Haupte hin; das arme kleine Tier, erschrocken, fluechtet in meinen Busen und in dem Augenblick fuehl' ich die letzten Zuckungen seines scheidenden Lebens. Zwar von meinem Blicke getroffen schleicht der Raeuber dort ohnmaechtig am Wasser hin, aber was kann mir seine Strafe helfen, mein Liebling ist tot, und sein Grab wird nur das traurige Gebuesch meines Gartens vermehren.
Ermannt Euch, schoene Lilie! rief die Frau, indem sie selbst eine Traene abtrocknete, welche ihr die Erzaehlung des ungluecklichen Maedchens aus den Augen gelockt hatte, nehmt Euch zusammen, mein Alter laesst Euch sagen, Ihr sollt Eure Traene maessigen, das groesste Unglueck als Vorbote des groessten Gluecks ansehen; denn es sei an der zeit; und wahrhaftig, fuhr die Alte fort, es geht bunt in der Welt zu. Seht nur meine Hand wie sie schwarz geworden ist! Wahrhaftig sie ist schon um vieles kleiner, ich muss eilen, eh' sie gar verschwindet! Warum musst' ich den Irrlichtern eine Gefaelligkeit erzeigen, warum musst' ich dem Riesen begegnen und warum meine Hand in den Fluss tauchen? Koennt Ihr mir nicht ein Kohlhaupt, eine Artischocke und eine Zwiebel geben? so bring ich sie dem Flusse und meine Hand ist weiss wie vorher, so dass ich sie fast neben die Eurige halten koennte.
Kohlhaeupter und Zwiebeln koenntest du allenfalls noch finden: aber Artischocken suchest du vergebens. Alle Pflanzen in meinem grossen Garten tragen weder Blueten noch Fruechte; aber jedes Reis, das ich breche und auf das Grab eines Lieblings pflanze, gruent sogleich und schiesst hoch auf. Alle diese Gruppen, diese Buesche, diese Haine habe ich leider wachsen sehen. Die Schirme dieser Pinien, die Obelisken dieser Zypressen, die Kolosse von Eichen und Buchen, alles waren kleine Reiser, als ein trauriges Denkmal von meiner Hand in einen sonst unfruchtbaren Boden gepflanzt.
Die Alte hatte auf diese Rede wenig acht gegeben und nur ihre Hand betrachtet, die in der Gegenwart der schoenen Lilie immer schwaerzer und von Minute zu Minute kleiner zu werden schien. Sie wollte ihren Korb nehmen und eben forteilen, als sie fuehlte, dass sie das Beste vergessen hatte. Sie hub sogleich den verwandelten Hund heraus und setzte ihn nicht weit von der Schoenen ins Gras. Mein Mann, sagte sie, schickt Euch dieses Andenken, Ihr wisst, dass Ihr diesen Edelstein durch Eure Beruehrung beleben koennt. Das artige treue Tier wird Euch gewiss viel Freude machen, und die Betruebnis, dass ich ihn verliere, kann nur durch den Gedanken aufgeheitert werden, dass Ihr ihn besitzt.
Die schoene Lilie sah das artige Tier mit Vergnuegen und, wie es schien, mit Verwunderung an. Es kommen viele Zeichen zusammen, sagte sie, die mir einige Hoffnung einfloessen; aber ach! ist es nicht bloss ein Wahn unserer Natur, dass wir dann, wenn vieles Unglueck zusammentrifft, uns vorbilden das Beste sei nah.
Was helfen mir die vielen guten Zeichen?
Des Vogels Tod, der Freundin schwarze Hand?
Der Mops von Edelstein, hat er wohl seinesgleichen?
Und hat ihn nicht die Lampe mir gesandt?
Entfernt vom suessen menschlichen Genusse,
Bin ich doch mit dem Jammer nur vertraut.
Ach! warum steht der Tempel nicht am Flusse!
Ach! warum ist die Bruecke nicht gebaut!
Ungeduldig hatte die gute Frau diesem Gesange zugehoert, den die schoene Lilie mit den angenehmen Toenen ihrer Harfe begleitete und er jeden anderen entzueckt haette. Eben wollte sie sich beurlauben, als sie durch die Ankunft der gruenen Schlange abermals abgehalten wurde. Diese hatte die letzten Zeilen des Liedes gehoert und sprach deshalb der schoenen Lilie sogleich zuversichtlich Mut ein.
Die Weissagung von der Bruecke ist erfuellt! rief sie aus; fragt nur diese gute Frau wie herrlich der Bogen gegenwaertig erscheint. Was sonst undurchsichtiger Japsis, was nur eine Prasem war, durch den das Licht hoechstens auf den Kanten durchschimmerte, ist nun durchsichtiger Edelstein geworden. Kein Breyll ist so klar und kein Smaragd so schoenfarbig.
Ich wuensche Euch Glueck dazu, sagte die Lilie, allein verzeihet mir, wenn ich die Weissagung noch nicht erfuellt glaube. UEber den hohen Bogen Eurer Bruecke koennen nur Fussgaenger hinueber schreiten und es ist uns versprochen, dass Pferde und Wagen und Reisende aller Art zu gleicher Zeit ueber die Bruecke herueber und hinueber wandern sollen. Ist nicht von den grossen Pfeilern geweissagt, die aus dem Flusse selbst heraussteigen werden?
Die Alte hatte ihre Augen immer auf die Hand geheftet, unterbrach hier das Gespraech und empfahl sich. Verweilt noch einen Augenblick, sagte die schoene Lilie, und nehmt meinen armen Kanarienvogel mit. Bittet die Lampe, dass sie ihn in einen schoenen Topas verwandle, ich will ihn durch meine Beruehrung beleben und er, mit Eurem guten Mops, soll mein mein bester Zeitvertreib sein; aber eilt was ihr koennt, denn mit Sonnenuntergang ergreift unleidliche Faeulnis das arme Tier und zerreisst den schoenen Zusammenhang seiner Gestalt auf ewig.
Die Alte legte den kleinen Leichnam zwischen zarte Blaetter in den Korb und eilte davon.
Wie dem auch sei, sagte die Schlange, indem sie das abgesprochene Gespraech fortsetzte, der Tempel ist erbauet.
Er steht aber noch im Flusse, versetzte die Schoene.
Noch ruht er in den Tiefen der Erde, sagte die Schlange; ich habe die Koenige gesehen und gesprochen.
Aber wann werden sie aufstehn? fragte Lilie.
Die Schlange versetzte: Ich hoerte die grossen Worte im Tempel ertoenen: es ist an der Zeit.
Eine angenehme Heiterkeit verbreitete sich ueber das Angesicht der Schoenen. Hoere doch, sagte sie, die gluecklichen Worte schon heute zum zweitenmal; wann wird der Tag kommen, an dem ich sie dreimal hoere?
Sie stand auf und sogleich trat ein reizendes Maedchen aus dem Gebuesch, das ihr die Harfe abnahm. Dieser folgte eine andre, die den elfenbeinernen geschnitzten Feldstuhl, worauf die Schoene gesessen hatte, zusammenschlug und das silberne Kissen unter den Arm nahm. Eine dritte, die einen grossen, mit Perlen gestickten Sonnenschirm trug, zeigte sich darauf, erwartend, ob Lilie auf einem Spaziergange etwa ihrer beduerfe. UEber allen Ausdruck schoen und reizend waren diese drei Maedchen, und doch erhoehten sie nur die Schoenheit der Lilie, indem sich jeder gestehen musste, dass sie mit ihr gar nicht verglichen werden konnten.
Mit Gefaelligkeit hatte indes die schoene Lilie den wunderbaren Mops betrachtet. Sie beugte sich, beruehrte ihn und in dem Augenblick sprang er auf. Munter sah er sich um, lief hin und wider und eilte zuletzt seine Wohltaeterin auf das freundlichste zu begruessen. Sie nahm ihn auf die Arme und drueckte ihn an sich. So kalt du bist, rief sie aus, und obgleich nur ein halbes Leben in dir wirkt, bist du mir doch willkommen; zaertlich will ich dich lieben, artig mit dir scherzen, freundlich dich streicheln, und fest dich an mein Herz druecken. Sie liess ihn darauf los, jagte ihn von sich, rief ihn wieder, scherzte so artig mit ihm und trieb sich so munter und unschuldig mit ihm in dem Grase herum, dass man mit neuem Entzuecken ihre Freude betrachten und teil daran nehmen musste, so wie kurz vorher ihre Trauerndes Herz zum Mitleid gestimmt hatte.
Diese Heiterkeit, diese anmutigen Scherze wurden durch die Ankunft des traurigen Juenglings unterbrochen. Er trat herein, wie wir ihn schon kennen, nur schien die Hitze des Tages ihn noch mehr abgemartert zu haben, und in der Gegenwart der Geliebten ward er mit jedem Augenblicke blaesser. Er trug den Habicht auf seiner Hand, der wie eine Taube ruhig sass und die Fluegel haengen liess.
Es ist nicht freundlich, rief Lilie ihm entgegen, dass du mir das verhasste Tier vor die Augen bringst, das Ungeheurer, das meinen kleinen Saenger heute getoetet hat.
Schilt den ungluecklichen Vogel nicht! versetzte darauf der Juengling; klage vielmehr dich an und das Schicksal, und vergoenne mir, dass ich mit dem Gefaehrten meines Elends Geschaefte mache.
Indessen hoerte der Mops nicht auf, die Schoene zu necken, und sie antwortete dem durchsichtigen Liebling mit dem freundlichen Betragen. Sie klatschte mit den Haenden, um ihn zu verscheuchen; dann lief sie, um ihn wieder nach sich zu ziehen. Sie suchte ihn zu haschen, wenn er floh, und jagte ihn von sich weg, wenn er sich an sie zu draengen versuchte. Der Juengling sah stillschweigend und mit wachsendem Verdrusse zu; aber endlich, da sie haessliche Tier, das ihm ganz abscheulich vorkam, auf den Arm nahm, an ihren weissen Busen drueckte und die schwarze Schnauze mit ihren himmlischen Lippen kuesste, verging ihm alle Geduld und er rief voller Verzweiflung aus: Musste ich, der durch ein trauriges Geschick vor dir, vielleicht auf immer, in einer getrennten Gegenwart lebe, der ich durch dich alles, auch mich selbst, verloren habe, muss ich vor deinen Augen sehen, dass eine so widernatuerliche Missgeburt dich zur Freude reizen, deine Neigung fesseln und deine Umarmung geniessen kann! Soll ich noch laenger nur so hin- und wiedergeben und den traurigen Kreis den Fluss herueber und hinueber abmessen? Nein, es ruht noch ein Funke des alten Heldenmutes in meinem Busen; er schlage in diesem Augenblick zur letzten Flamme auf! Wenn Steine an deinem Busen ruhen koennen, so moege ich zu Stein werden; wenn deine Beruehrung toetet, so will ich in deinen Haenden sterben.
Mit diesen Worten machte er eine heftige Bewegung; der Habicht flog von seiner Hand, er aber stuerzte auf die Schoene los, sie streckte die Haende aus, ihn abzuhalten und beruehrte ihn nur desto frueher. Das Bewusstsein verliess ihn, und mit Entsetzen fuehlte sie die schoene Last an ihrem Busen. Mit einem Schrei trat sie zurueck, und der holde Juengling sank entseelt aus ihren Armen zur Erde.
Das Unglueck war geschehen! Die suesse Lilie stand unbeweglich und blickte starr nach dem entseelten Leichnam. Das Herz schien ihr im Busen zu stocken und ihre Augen waren ohne Traenen. Vergebens suchte der Mops ihr eine freundliche Bewegung abzugewinnen; die ganze Welt war mit ihrem Freunde ausgestorben. Ihre stumme Verzweiflung sah sich nach Huelfe nicht um, denn sie kannte keine Huelfe.
Dagegen regte die Schlange desto emsiger; sie schien auf Rettung zu sinnen, und wirklich dienten ihre sonderbaren Bewegungen wenigstens die naechsten schrecklichen Folgen des Ungluecks auf eine Zeit zu hindern. Sie zog mit ihrem geschmeidigen Koerper einen weiten Kreis um den Leichnam, fasste das Ende ihres Schwanzes mit den Zaehnen und blieb ruhig liegen.
Nicht lange, so trat eine der schoenen Dienerinnen Liliens hervor, brachte den elfenbeinernen Feldstuhl, und noetigte, mit freundlichen Gebaerden, die Schoene sich zu setzen; bald darauf kam die zweite, die einen feuerfarbigen Schleier trug und das Haupt ihrer Gebieterin damit mehr zierte als bedeckte; die dritte uebergab ihr die Harfe, und kaum hatte sie das praechtige Instrument an sich gedrueckt, und einige Toene aus den Saiten hervorgelockt, als die erste mit einem hellen runden Spiegel zurueckkam, sich der Schoenen gegenueber stellte, ihre Blicke auffing und ihr das angenehmste Bild, das in der Natur zu finden war, darstellte. Der Schmerz erhoehte ihre Schoenheit, der Schleier ihre Reize, die Harfe ihre Anmut, und so sehr man hoffte ihre traurige Lage veraendert zu sehen, so sehr wuenschte man ihr Bild ewig, wie es gegenwaertig erschien, festzuhalten.
Mit einem stillen Blick nach dem Spiegel lockte die bald schmelzende Toene aus den Saiten, bald schien ihr Schmerz zu steigen, und die Saiten antworteten gewaltsam mit ihrem Jammer; einigemal eroeffnete sie den Mund zu singen, aber die Stimme versagte ihr, doch bald loeste sich ihr Schmerz in Traenen auf, zwei Maedchen, fassten sie huelfreich in die Arme, die Harfe sank aus ihrem Schosse, kaum ergriff noch die schnelle Dienerin das Instrument und trug es beiseite.
Wer schafft uns den Mann mit der Lampe, ehe die Sonne untergeht? zischte die Schlange leise, aber vernehmlich; die Maedchen sahen einander an, und Liliens Traenen vermehrten sich. In diesem Augenblicke kam atemlos die Frau mit dem Korbe zurueck. Ich bin verloren und verstuemmelt, rief sie aus! seht wie meine Hand beinahe ganz weggeschwunden ist; weder der Faehrmann noch der Riese wollten mich uebersetzen, weil ich noch eine Schuldnerin des Wassers bin; vergebens habe ich hundert Kohlhaeupter und hundert Zwiebeln angeboten, man will nicht mehr als die drei Stuecke, und keine Artischocke ist nun einmal in diesen Gegenden zu finden.
Vergesst Eure Not, sagte die Schlange, und sucht hier zu helfen; vielleicht kann Euch zugleich mitgeholfen werden. Eilt was ihr koennt die Irrlichter aufzusuchen, es ist noch zu hell sie zu sehen, aber vielleicht hoert ihr sie lachen und flattern. Wenn sie eilen, so setzt sie der Riese noch ueber den Fluss, und sie koennen den Mann mit der Lampe finden und schicken.
Das Weib eilte so viel sie konnte, und die Schlange schien ebenso ungeduldig als Lilie die Rueckkunft der beiden zu erwarten. Leider vergoldete schon der Strahl der sinkenden Sonne nur den hoechsten Gipfel der Baeume des Dickichts, und lange Schatten zogen sich ueber See und Wiese; die Schlange bewegte sich ungeduldig und Lilie zerfloss in Traenen.
In dieser Not sah die Schlange sich ueberall um, denn sie fuerchtete jeden Augenblick, die Sonne werde untergehen, die Faeulnis den magischen Kreis durchdringen und den schoenen Juengling unaufhaltsam anfallen. Endlich erblickte sie hoch in den Lueften, mit purpurroten Federn den Habicht, dessen Brust die letzten Strahlen der Sonne auffing. Sie schuettelte sich vor Freuden ueber das gute Zeichen, und sie betrog sich nicht; denn kurz darauf sah man den Mann mit der Lampe ueber den See hergleiten, gleich als wenn er auf Schlittschuhen ginge.
Die Schlange veraenderte nicht ihre Stelle, aber die Lilie stand auf und rief ihm zu: Welcher gute Geist sendet dich in dem Augenblick, da wir so sehr nach dir verlangen und deiner so sehr beduerfen?
Der Geist meiner Lampe, versetzte der Alte, treibt mich und der Habicht fuehrt mich hierher. Sie spratzelt, wenn man meiner bedarf, und ich sehe mich nur in den Lueften nach einem Zeichen um; irgendein Vogel oder Meteor zeigt mir die Himmelsgegend an, wohin ich mich wenden soll. Sei ruhig, schoenstes Maedchen! Ob ich helfen kann weiss ich nicht, ein einzelner hilft nicht, sondern wer sich mit vielen zur rechten Stunde vereinigt. Aufschieben wollen wir und hoffen. Halte deinen Kreis geschlossen, fuhr er fort, indem er sich an die Schlange wendete, sich auf einen Erdhuegel neben sie hinsetzte und den toten Koerper beleuchtete. Bringt den artigen Kanarienvogel auch her und leget ihn in den Kreis! Die Maedchen nahmen den kleinen Leichnam aus dem Korbe, den die Alte stehen liess, und gehorchtem dem Manne.
Die Sonne war indessen untergegangen, und wie die Finsternis zunahm, fing nicht allein die Schlange und die Lampe des Mannes nach ihrer Weise zu leuchten an, sondern der Schleier Liliens gab auch ein sanftes Licht von sich, das wie eine zarte Morgenroete ihre blassen Wangen und ihr weisses Gewand mit einer unendlichen Anmut faerbte. Man sah sich wechselweise mit stiller Betrachtung an, Sorge und Trauer waren durch eine sichere Hoffnung gemildert.
Nicht unangenehm erschien daher das alte Weib in Gesellschaft der beiden munteren Flammen, die zwar zeither sehr verschwendet haben mussten, denn sie waren weder aeusserst mager geworden, aber sich nur desto artiger gegen die Prinzessin und die uebrigen Frauenzimmer betrugen. Mit der groessten Sicherheit und mit vielem Ausdruck sagten sie ziemlich gewoehnliche Sachen, besonders zeigten sie sich sehr empfaenglich fuer den Reiz, den der leuchtende Schleier ueber Lilien und ihre Begleiterinnen verbreitete. Bescheiden schlugen die Frauenzimmer ihre Augen nieder und das Lob ihrer Schoenheit verschoenerte sie wirklich. Jedermann war zufrieden und ruhig bis auf die Alte. Ungeachtet der Versicherung ihres Mannes, dass ihre Hand nicht weiter abnehmen koenne solange sie von seiner Lampe beschienen sei, behauptete sie mehr als einmal, dass, wenn es so fortgehe, noch vor Mitternacht dieses edle Glied voellig verschwinden werde.
Der Alte mit der Lampe hatte dem Gespraech der Irrlichter aufmerksam zugehoert und war vergnuegt, dass Lilie durch diese Unterhaltung zerstreut und aufgeheitert worden. Und wirklich war Mitternacht herbeigekommen man wusste nicht wie. Der Alte sah nach den Sternen und fing darauf zu reden an: Wir sind zur gluecklichen Stunde beisammen, jeder verrichte sein Amt, jeder tue seine Pflicht und ein allgemeines Glueck wird die einzelnen Schmerzen in sich aufloesen, wie ein allgemeines Unglueck einzelne Freuden verzehrt.
Nach diesen Worten entstand ein wunderbares Geraeusch, denn alle gegenwaertigen Personen sprachen fuer sich und drueckten laut aus was sie zu tun haetten, nur die drei Maedchen waren stille; eingeschlafen war die eine neben der Harfe, die andere neben dem Sonnenschirm, die dritte neben dem Sessel, und man konnte es ihnen nicht verdenken, denn es war spaet. Die flammenden Juenglinge hatten nach einigen voruebergehenden Hoeflichkeiten, die sie auch den Dienerinnen gewidmet, sich doch zuletzt nur an Lilien, als die Allerschoenste, gehalten.
Fasse, sagte der Alte zum Habicht, den Spiegel, und mit dem ersten Sonnenstrahl beleuchtete die Schlaeferinnen und weckte sie mit zurueckgeworfenem Lichte aus der Hoehe.
Die Schlange fing nunmehr an sich zu bewegen, loeste den Kreis auf und zog langsam in grossen Ringen nach dem Flusse. Feierlich folgten ihr die beiden Irrlichter, und man haette sie fuer die ernsthaftesten Flammen halten sollen. Die Alte und der Mann ergriffen den Korb, dessen sanftes Licht man bisher kaum bemerkt hatte, sie zogen von beiden Seiten daran, und er ward immer groesser und leuchtender, sie hoben darauf den Leichnam des Juenglings hinein und legten ihm den Kanarienvogel auf die Brust, der Korb hob sich in die Hoehe und schwebte ueber dem Haupte der Alten und sie folgte den Irrlichtern auf dem Fusse. Die schoene Lilie nahm den Mops auf ihren Arm und folgte der Alten, der Mann mit der Lampe beschloss den Zug, und die Gegend war von diesen vielerlei Lichtern auf das sonderbarste erhellt.
Aber mit nicht geringer Bewunderung sah die Gesellschaft, als sie zu dem Flusse gelangte, einen herrlichen Bogen ueber denselben hinuebersteigen, wodurch die wohltaetige Schlange ihnen einen glaenzenden Weg bereitete. Hatte man bei Tage die durchsichtigen Edelsteine bewundert, woraus die Bruecke zusammengesetzt schien, so erstaunte man bei Nacht ueber ihre leuchtende Herrlichkeit. Oberwaerts schnitt sich der helle Kreis scharf an dem dunklen Himmel ab, aber unterwaerts zuckten lebhafte Strahlen nach dem Mittelpunkte zu und zeigten die bewegliche Festigkeit des Gebaeudes. Der Zug ging langsam hinueber, und der Faehrmann, der von ferne aus seiner Huette hervorsah, betrachtete mit Staunen den leuchtenden Kreis und die sonderbaren Lichter, die darueber zogen.
Kaum waren sie dem anderen Ufer angelangt, als der Bogen nach seiner Weise zu schwanken und sich wellenartig dem Wasser zu naehern anfing. Die Schlange bewegte sich bald darauf ans Land, der Korb setzte sich zur Erde nieder, und die Schlange zog aufs neue ihren Kreis umher, der Alte neigte sich vor ihr und sprach: Was hast du beschlossen?
Mich aufzuopfern, ehe ich aufgeopfert werde, versetzte die Schlange; versprich mir, dass du keinen Stein am Lande lassen willst.
Der Alte versprach's und sagte darauf zur schoenen Lilie: Ruehre die Schlange mit der linken Hand an und deinen Geliebten mit der rechten. Lilie kniete nieder und beruehrte die Schlange und den Leichnam. Im Augenblicke schien dieser in das Leben ueberzugehen, er bewegte sich im Korbe, ja er richtete sich in die Hoehe und sass; Lilie wollte ihn umarmen, allein der Alte hielt sie zurueck, er half dagegen dem Juengling aufstehn und leitete ihn, indem er aus dem Korbe und dem Kreise trat.
Der Juengling stand, der Kanarienvogel flatterte auf seiner Schulter, es war wieder Leben in beiden, aber der Geist war noch nicht zurueckgekehrt; der schoene Freund hatte die Augen offen und sah nicht, wenigstens schien er alles ohne Teilnehmung anzusehn, und kaum hatte sich die Verwunderung ueber diese Begebenheit in etwas gemaessigt, als man erst bemerkte, wie sonderbar die Schlange sich veraendert hatte. Ihr schoener schlanker Koerper war in tausend und tausend leuchtende Edelsteine zerfallen; unvorsichtig hatte die Alte, die nach ihrem Korbe greifen wollte, an sie gestossen, und man sah nichts mehr von der Bildung der Schlange, nur ein schoener Kreis leuchtender Edelsteine lag im Grase.
Der Alte machte sogleich Anstalt, die Steine in den Korb zu fassen, wozu ihm seine Frau behuelflich sein musste. Beide trugen darauf den Korb gegen das Ufer an einen erhabenen Ort, und er schuettete die ganze Ladung, nicht ohne Widerwillen der Schoenen und seines Weibes, der gerne davon sich etwas ausgesucht haetten, in den Fluss. Wie leuchtende und blinkende Sterne schwammen die Steine mit den Wellen hin, und man konnte nicht unterscheiden, ob sie sich in der Ferne verloren oder untersanken.
Meine Herren, sagte darauf der Alte ehrerbietig zu den Irrlichtern, nunmehr zeige ich Ihnen den Weg und eroeffne den Gang, aber Sie leisten uns den groessten Dienst, wenn Sie uns die Pforte des Heiligtums oeffnen, durch die wir einmal eingehen muessen und die ausser Ihnen niemand aufschliessen kann.
Die Irrlichter neigten sich anstaendig und blieben zurueck. Der Alte mit der Lampe ging voraus in den Felsen, der sich vor ihm auftat; der Juengling folgte ihm, gleichsam mechanisch; still und ungewiss hielt sich Lilie in einiger Entfernung hinter ihm; die Alte wollte nicht gerne zurueckbleiben und streckte ihre Hand aus, damit ja das Licht von ihres Mannes Lampe sie erleuchten koenne. nun schlossen die Irrlichter den Zug, indem sie die Spitzen ihrer Flammen zusammenneigten und miteinander zu sprechen schienen.
Sie waren nicht lange gegangen, als der Zug sich vor einem grossen ehernen Tore befand, dessen Fluegel mit einem goldenen Schloss verschlossen waren. Der Alte rief sogleich die Irrlichter herbei, die sich nicht lange aufmuntern liessen, sondern geschaeftig mit ihren spitzesten Flammen Schloss und Riegel aufzehrten.
Laut toente das Erz, als die Pforten schnell aufsprangen und im Heiligtum die wuerdigen Bilder der Koenige, durch die hereintretenden Lichter beleuchtet, erschienen. Jeder neigte sich vor den ehrwuerdigen Herrschern, besonders liessen es die Irrlichter an krausen Verbeugungen nicht fehlen.
Nach einiger Pause fragte der goldene Koenig: Woher kommt ihr? - Aus der Welt, antwortete der Alte. Wohin geht ihr? fragte der silberne Koenig. - In die Welt, sagte die Alte. - Was wollt ihr bei uns? fragte der eherne Koenig. - Euch begleiten, sagte der Alte.
Der gemischte Koenig wollte eben zu reden anfangen, als der goldne zu den Irrlichtern, die ihm zu nahe gekommen waren, sprach: Hebet euch weg von mir, mein Gold ist nicht fuer euren Gaum. Sie wandten sich darauf zum silbernen und schmiegten sich an ihn, sein Gewand glaenzte schoen von ihrem gelblichen Widerschein. Ihr seid mir willkommen, sagte er, aber ich kann euch nicht ernaehren; saettigt euch auswaerts und bringt mir euer Licht. Sie entfernten sich und schlichen, bei dem ehernen vorbei, der sie nicht zu bemerken schien, auf den zusammengesetzten los. Wer wird die Welt beherrschen? rief dieser mit stotternder Stimme. - Wer auf seinen Fuessen steht, antwortete der Alte. - Das bin ich! sagte der gemischte Koenig. - Es wird sich offenbaren, sagte der Alte, denn es ist an der Zeit.
Die schoene Lilie fiel dem Alten um den Hals und kuesste ihn aufs herzlichste. Heiliger Vater, sagte sie, tausendmal dank' ich dir, denn ich hoere das ahnungsvollste Wort zum drittenmal. Sie hatte kaum ausgeredet, als sie sich noch fester an den Alten anhielt, denn der Boden fing unter ihnen an zu schwanken, die Alte und der Juengling hielten sich auch aneinander, nur die beweglichen Irrlichter merkten nichts.
Man konnte deutlich fuehlen, dass der ganze Tempel sich bewegte, wie ein Schiff das sich sanft aus dem Hafen entfernt, wenn die Anker gelichtet sind; die Tiefen der Erde schienen sich vor ihm aufzutun als er hindurch zog. Er stiess nirgends an, kein Felsen stand ihm in dem Weg.
Wenige Augenblicke schien ein feiner Regen durch die OEffnung der Kuppel hereinzurieseln; der Alte hielt die schoene Lilie fester und sagte zu ihr: Wir sind unter dem Flusse und bald am Ziel. Nicht lange darauf glaubten sie stillzustehn, doch sie betrogen sich; der Tempel stieg aufwaerts.
Nun entstand ein seltsames Getoese ueber ihrem Haupte. Bretter und Balken, in ungestalter Verbindung, begannen sich zu der OEffnung der Kuppel krachend hereinzudraengen. Lilie und der Alte sprangen zur Seite, der Mann mit der Lampe fasste den Juengling und blieb stehen. Die kleine Huette des Faehrmanns, denn sie war es, die der Tempel, im Aufsteigen, vom Boden abgesondert und in sich aufgenommen hatte, sank allmaehlich herunter und bedeckte den Juengling und den Alten.
Die Weiber schrien laut, und der Tempel schuetterte wie ein Schiff, das unvermutet ans Land stoesst. AEngstlich irrten die Frauen in der Daemmerung um die Huette, die Tuere war verschlossen und auf ihr Pochen hoerte niemand. Sie pochten heftiger und wunderten sich nicht wenig, als zuletzt das Holt zu klingen anfing. Durch die Kraft der verschlossenen Lampe war die Huette von innen heraus zu Silber geworden. Nicht lange, so veraenderte sie sogar ihre Gestalt; denn das edle Metall verliess die zufaelligen Formen der Bretter, Pfosten und Balken, und dehnte sich zu einem herrlichen Gehaeuse von getriebener Arbeit aus. Nun stand ein herrlicher kleiner Tempel in der Mitte des grossen, oder wenn man will, ein Altar des Tempels wuerdig.
Durch eine Treppe, die von innen heraufging, trat nunmehr der edle Juengling in die Hoehe, der Mann mit der Lampe leuchtete ihm, und ein anderer schien ihn zu unterstuetzen, der in einem weissen kurzen Gewand hervorkam und ein silbernes Ruder in der Hand hielt; man erkannte in ihm sogleich den Faehrmann, den ehemaligen Bewohner der verwandelten Huette.
Die schoene Lilie stieg die aeusserern Stufen hinauf, die von dem Tempel auf den Altar fuehrten, aber noch immer musste sie sich von ihrem Geliebten entfernt halten. Die alte, deren Hand, solange die Lampe verborgen gewesen, immer kleiner geworden war, rief: Soll ich doch noch ungluecklich werden? Ihr Mann deutete nach der offenen Pforte und sagte: Siehe, der Tag bricht an, eile und bade dich im Flusse. - Welch ein Rat! rief sie, ich soll wohl ganz schwarz werden und ganz verschwinden, habe ich doch meine Schuld noch nicht bezahlt. - Gehe, sagte der Alte, und folge mir! Alle Schulden sind abgetragen.
Die Alte eilte weg, und in dem Augenblick erschien das Licht der aufgehenden Sonne an dem Kranze der Kuppel, der Alte trat zwischen den Juengling und die Jungfrau und rief mit lauter Stimme: Drei sind die da herrschen auf Erden: die Weisheit, der Schein und die Gewalt. Bei dem ersten Worte stand der goldne Koenig auf, bei dem zweiten der silberne und bei dem dritten hatte sich der eherne langsam emporgehoben, als der zusammengesetzte Koenig sich ploetzlich ungeschickt niedersetzte.
Wer ihn sah, konnte sich, ungeachtet des feierlichen Augenblicks, kaum des Lachens enthalten, denn er sass nicht, er lag nicht, er lehnte sich nicht an, sondern er war foermlich zusammengesunken.
Die Irrlichter, die sich bisher um ihn beschaeftigt hatten, traten zur Seite; sie schienen, obgleich blass beim Morgenlichte, doch wieder gut genaehrt und wohl bei Flammen; sie hatten auf eine geschickte Weise die goldenen Adern des kolossalen Bildes mit ihren spitzen Zungen bis aufs innerste herausgeleckt. Die unregelmaessigen leeren Raeume, die dadurch entstanden waren, erhielten sich eine Zeitlang offen und die Figur blieb in ihrer vorigen Gestalt. Als aber auch zuletzt die zartesten AEderchen aufgezehrt waren, brach auf einmal das Bild zusammen und leider gerade an den Stellen, die ganz bleiben, wenn der Mensch sich setzt; dagegen blieben die Gelenke, die sich haetten biegen sollen, steif. Wer nicht lachen konnte, musste seine Augen wegwenden; das Mittelding zwischen Form und Klumpen war widerwaertig anzusehn.
Der Mann mit der Lampe fuehrte nunmehr den schoenen, aber immer noch starr vor sich hinblickenden Juengling vom Altare herab und gerade auf den ehernen Koenig los. Zu den Fuessen des maechtigen Fuersten lag ein Schwert, in eherner Scheide. Der Juengling guertete sich. - Das Schwert an der Linken, die Rechte frei! rief der gewaltige Koenig. Sie gingen darauf zum silbernen, der sein Zepter gegen den Juengling neigte. Dieser ergriff es mit der linken Hand, und der Koenig sagte mit gefaelliger Stimme: Weide die Schafe! Als sie zum goldenen Koenig kamen, drueckte er mit vaeterlich segnender Gebaerde den Juengling den Eichenkranz aufs Haupt und sprach: Erkenne das Hoechste!
Der Alte hatte waehrend dieses Umgangs den Juengling genau bemerkt. Nach umguerteten Schwert hob sich seine Brust, seine Arme regten sich und seine Fuesse traten fester auf; indem er den Zepter in die Hand nahm, schien sich die Kraft zu mildern und durch einen unaussprechlichen Reiz noch maechtiger zu werden; als aber der Eichenkranz seine Locken zierte, belebten sich seine Gesichtszuege, sein Auge glaenzte von unaussprechlichem Geist, und das erste Wort seines Mundes war Lilie.
Liebe Lilie! rief er, als ihr die silbernen Treppen hinauf entgegeneilte; denn sie hatte von der Zinne des Altars seiner Reise zugesehn: liebe Lilie! was kann der Mann, ausgestattet mit allem, sich Koestlichers wuenschen als die Unschuld und die stille Neigung, die mir dein Busen entgegenbringt? O! mein Freund, fuhr er fort, indem er sich zu der Alten wendete und die drei heiligen Bildsaeulen ansah, herrlich und sicher ist das reich unserer Vaeter, aber du hast die vierte Kraft vergessen, die noch fueher, allgemeiner, gewisser die Welt beherrscht, die Kraft der Liebe. Mit diesen Worten fiel er dem schoenen Maedchen um den Hals; sie hatte den Schleier weggeworfen und ihre Wangen faerbten sich mit der schoensten unvergaenglichen Roete.
Hierauf sagte der Alte laechelnd: Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr.
UEber dieser Feierlichkeit, dem Glueck, dem Entzuecken hatte man nicht bemerkt, dass der Tag voellig angebrochen war, und nun fielen auf einmal durch die offene Pforte ganz unerwartete Gegenstaende der Gesellschaft in die Augen. Ein grosser mit Saeulen umgebender Platz machte den Vorhof, an dessen Ende man eine lange und praechtige Bruecke sah, die mit vielen Bogen ueber den Fluss hinueber reichte; sie war an beiden Seiten mit Saeulengaengen fuer die Wanderer bequem und praechtig eingerichtet, deren sich schon viele Tausende eingefunden hatten, und emsig hin- und widergingen. Der grosse weg in der Mitte war von Herden und Maultieren, Reitern und Wagen belebt, die an beiden Seiten, ohne sich zu hindern, stromweise hin- und herflossen. Sie schienen sich alle ueber die Bequemlichkeit und Pacht zu verwundern, und der neue Koenig mit seiner Gemahlin war ueber die Bewegung und das Leben dieses grossen Volkes so entzueckt, als ihre wechselseitige Liebe sie gluecklich machte.
Gedenke der Schlange in Ehren, sagte der Mann mit der Lampe, du bist ihr das Leben, deine Voelker sind ihr die Bruecke schuldig, wodurch diese nachbarlichen Ufer erst zu Laendern belebt und verbunden werden. jene schwimmenden und leuchtenden Edelsteine, die Reste ihrer aufgeopferten Koerpers, sind die Grundpfeiler dieser herrlichen Bruecke, auf ihnen hat sie sich selbst erbaut und wird sich selbst erhalten.
Man wollte eben die Aufklaerung dieses wunderbaren Geheimnisses von ihm verlangen, als vier schoene Maedchen zu der Pforte des Tempels hereintraten. An der Harfe, dem Sonnenschirm und dem Felsstuhl erkannte man sogleich die Begleiterinnen Liliens, aber die vierte, schoener als die drei, war eine Unbekannte, die scherzend schwesterlich mit ihnen durch den Tempel eilte und die silbernen Stufen hinanstieg.
Wirst du mir kuenftig mehr glauben, liebes Weib? sagte der Mann mit der Lampe zu der Schoenen; wohl dir und jedem Geschoepfe, das sich diesen Morgen im Flusse badet!
Die verjuengte und verschoenerte Alte, von deren Bildung keine Spur mehr uebrig war, umfasste mit belebten jugendlichen Armen den Mann mit der Lampe, der ihre Liebkosungen mit Freundlichkeit aufnahm. Wenn ich dir zu alt bin, sagte er laechelnd, so darfst du heute einen anderen Gatten waehlen; von heute an ist keine Ehe gueltig, die nicht aufs neue geschlossen wird.
Weisst du denn nicht, versetzte sie, dass du auch juenger geworden bist? - Es freut mich, wenn ich in deinen jungen Augen als ein wackrer Juengling erscheine; ich nehme deine Hand von neuem an, und mag gern mit dir in das folgende Jahrtausend hinueberleben.
Die Koenigin bewillkommte ihre neue Freundin und stieg mit ihren und den uebrigen Gespielinnen in den Altar hinab, indes der Koenig in der Mitte der beiden Maenner nach der Bruecke hinsah und aufmerksam das Gewimmel des Volks betrachtete.
Aber nicht lange dauerte seine Zufriedenheit, denn er sah einen Gegenstand, der ihm einen Augenblick Verdruss erregte. Der grosse Riese, der sich von seinem Morgenschlaf noch nicht erholt zu haben schien, taumelte ueber die Bruecke her und verursachte daselbst grosse Unordnung. Er war, wie gewoehnlich schlaftrunken aufgestanden und gedachte sich in der bekannten Bucht des Flusses zu baden; anstatt derselben fand er festes Land und tappte auf dem breiten Pflaster der Bruecke hin. Ob er nun gleich zwischen Menschen und Vieh auf das ungeschickteste hineintrat, so ward doch seine Gegenwart zwar von allen angestaunt, doch von niemand gefuehlt; als ihm aber die Sonne in die Augen schien, und er die Haende aufhub sie auszuwischen, fuhr der Schatten seiner ungeheuren Faeuste hinter ihm so kraeftig und ungeschickt unter der Menge hin und wider, dass Menschen und Tiere in grossen Massen zusammenstuerzten, beschaedigt wurden und Gefahr liefen in den Fluss geschleudert zu werden.
Der Koenig, als er diese Untat erblickte, fuhr mit einer unwillkuerlichen Bewegung nach dem Schwerte, doch besann er sich und blickte erst ruhig sein Zepter, dann die Lampe und das Ruder seiner Gefaehrten an. Ich errate deine Gedanken, sachte der Mann mit der Lampe, aber wir und unsere Kraefte sind gegen die Ohnmaechtigen ohnmaechtig. Sei ruhig! er schadet zum letztenmal, und gluecklicherweise ist sein Schatten von uns abgekehrt.
Indessen war der Riese immer naeher gekommen, hatte vor Verwunderung ueber das, was er mit offenen Augen sah, die Haende sinken lassen, tat keinem Schaden mehr, und trat gaffend in den Vorhof herein.
Gerade ging er auf die Tuere des Tempels zu, als auf einmal in der Mitte des Hofes auf dem Boden festgehalten wurde. Er stand als eine kolossale maechtige Bildsaeule, von roetlich glaenzendem Steine, da, und sein Schatten zeigte die Stunden, die in einem Kreis auf dem Boden um ihn her, nicht in Zahlen, sondern in edlen und bedeutenden Bildern, eingelegt waren.
Nicht wenig erfreut war der Koenig, den Schatten des Ungeheuers in nuetzlicher Richtung zu sehen; nicht wenig verwundert war die Koenigin, die als sie mit groesser Herrlichkeit geschmueckt aus dem Altare, mit ihren Jungfrauen, heraufstieg, das seltsame Bild erblickte, das die Aussicht aus dem Tempel nach der Bruecke fast zudeckte.
Indessen hatte sich das Volk dem Riesen nachgedraengt, da er stillstand, ihn umgeben und seine Verwandlung angestaunt. Von da wandte sich die Menge nach dem Tempel, den sie erst jetzt gewahr zu werden schien und draengte nach der Tuer.
In diesem Augenblicke schwebte der Habicht mit dem Spiegel hoch ueber dem Dom, fing das Licht der Sonne auf und warf es ueber die auf dem Altar stehende Gruppe. Der Koenig, die Koenigin und ihre Begleiter erschienen in dem daemmernden Gewoelbe des Tempels, von einem himmlischen Glanze erleuchtet, und das Volk fiel auf sein Angesicht. Als die Menge sich wieder erholt hatte und aufstand, war der Koenig mit den Seinigen in den Altar hinabgestiegen, um durch verborgene Hallen nach seinem Palaste zu gehen, und das Volk zerstreute sich in dem Tempel, seine Neugierde zu befriedigen. Es betrachtete die drei aufrecht stehenden Koenige mit Staunen und Ehrfurcht, aber es ward desto begieriger zu wissen, was unter dem Teppiche in der vierten Nische fuer ein Klumpen verborgen sein moechte; denn, wer es auch mochte gewesen sein, wohlmeinende Bescheidenheit hatte eine praechtige Decke ueber den zusammengesunkenen Koenig hingebreitet, die kein Auge zu durchdringen vermag und keine Hand wagen darf wegzuheben.
Das Volk haette kein Ende seines Schauens und seiner Bewunderung gefunden, und die zudringende Menge haette sich in dem Tempel selbst erdrueckt, waere nicht ihre Aufmerksamkeit nicht wieder auf den grossen Platz gelenkt worden.
Unvermutet fielen Goldstuecke, wie aus der Luft, klingend auf die marmornen Platten, die naechsten Wanderer stuerzten darueber her, um sich ihrer zu bemaechtigen, einzeln wiederholte sich dies Wunder, und zwar bald hier und bald da. Man begreift wohl, dass die abziehenden Irrlichter sich hier nochmals eine Lust machten und das Gold aus den Gliedern des zusammengesunkenen Koenigs auf eine lustige Weise vergeudeten. Begierig lief das Volk noch eine Zeitlang hin und wider, draengte und zerriss sich, auch noch da keine Goldstuecke mehr herabfielen. Endlich verlief es sich allmaehlich, zog seine Strasse, und bis auf den heutigen Tag wimmelt die Bruecke von Wanderern, und der Tempel ist der besuchteste auf der ganzen Erde.